Hilfe ich hab keine Gefühle – bin ich krank?

Liebe Ariane,

seit längerem beobachte ich, dass mich vieles Kalt lässt und dass ich keine Gefühle spüren kann,… es wurde mir auch gesagt, dass ich keine Gefühle zeigen kann und deshalb gab es schon oft Streit und auch Abbrüche in meinen Beziehungen. Dazu gehört anscheinend auch Liebe, ich spüre NICHTS, manchmal nur ganz leicht aber ich weiß gar nicht, wie sich was anfühlt. Ich fühle mich wie  nicht mehr anwesend in meinem Körper, manchmal kommt mir mein Körper auch vor wie in einer Starre und ich bekomme so gut wie nichts mehr mit…

Dazu kommt, dass ich aber die Gefühle anderer spüre, ich weiß nicht wieso, aber es ist so , ich gucke jemanden an und erzähle der Person, wie sie sich fühlt und ich liege immer richtig, genauso kann ich erkennen, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht.

Wie fühlt sich Liebe an? Hilfe? Gibt es dafür Diagnosen? – mein Arzt kann sich das Nicht erklären.

Diesen Hilferuf kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich nannte diesen Zustand, mir ist wie im ‘Standby-Modus’. Man fühlt sich apathisch, nix freut einen mehr.

Ich habe gelernt, das ist ein typisches Flashback-Symptom. Das erste heilsame, was ich sagen kann, wenn jemand damit zu mir kommt und jedes Mal sofort Erleichterung schenkt ist, ja das ist typisch, aber nicht für Dich, sondern für das, was Dir geschieht. Mach nur nicht den Fehler und identifiziere Dich damit. Die meisten werden zusätzlich fast irre, weil sie sich wie in zweierlei Versionen wahrnehmen. Nein, deswegen bist Du nicht schizoid oder schizophren und das ist nicht Deine Identität, Dein Charakter oder Dein Wesen. Es ist tatsächlich eine Art ‘Standby-Modus’, ein Schutzmodus.

Der Zustand wird auch als Emotionale Entfremdung bezeichnet.

Emotionale Entfremdung oder laut Wikipedia Emotionale Taubheit (auch emotionale Erstarrung, emotionales Erstarrungssymptom oder Numbing) bezeichnet in der Psychologie einen emotionalen Erstarrungs- oder Taubheitszustand, charakterisiert durch

  • eingeschränkte Affektivität
  • deutlich vermindertem Interesse an wichtigen Aktivitäten (Anhedonie)
  • distanzierter Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umwelt und dem eigenen Leben
  • Verlust positiver Zukunftserwartungen und Sinnperspektive für das eigene Leben.

Betroffene erleben dies als innere Leere, emotionale Abstumpfung, Interessen-, Lust- und Freudlosigkeit. Auch kann es zu einem Gefühl der Entfremdung gegenüber Mitmenschen, der Welt und dem eigenen Leben kommen.

Emotionale Taubheit kann als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) auftreten und grenzt sich von einer Dissoziation dadurch ab, dass Wahrnehmungen oder Erinnerungen nicht völlig ausgeblendet oder verdrängt werden, nicht die Wahrnehmung der äußeren Realität, sondern im Wesentlichen „nur“ die (verminderte oder fehlende) emotionale Reaktion eines Menschen auf diese Wahrnehmung sind betroffen. (Huber M./van der Kolk B.A.)

Emotionale Taubheit kann außer als Folge einer PTB auch u. a. als

    • Symptom bei Dissoziation
    • insbes. Depersonalisation
    • akute Belastungsreaktion
    • Depression
  • als Trauerreaktion
  • temporär bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung

auftreten, auch fehlender Blickkontakt und leerer Blick, fehlende Mimik, starrer und oft ausdrucksloser Gesichtsausdruck.

Emotionale Entfremdung, diese ‘Gefühllosigkeit’ bedeutet, dass eine ursprüngliche Emotion im Moment nicht verkraftbar war, keine Möglichkeiten verfügbar waren, damit angemessen umgehen zu können, überwältigend und wenn unsere Emotion nicht adäquat gehandhabt wurde. Häufig wird auch von toxischen Beziehungen gesprochen, weil jemand mit der Überforderung nicht umgehen konnte oder wollte. Oft liegen Ursprungs-Ereignisse in der Vergangenheit, Kindheit oder auch Geburt, vorgeburtlich oder auch karmisch d.h. in früheren Inkarnationen.

Wird das Leben farblos und man kommt sich vor ‘wie eingefroren’ oder ‘lebendig gestorben’, dann ist ein Flashback aktiv.

Flashback bedeutet, dass wenn nicht voll gefühlte Emotionen unterdrückt werden und wie ‘geparkt’ werden, sie zu dauerhaften Gefühlsblockaden werden, eigentlich Energieblockaden. Begegnet einem nun ein ähnliches Ereignis oder eine solche Gefühls-Frequenz, dann werden diese reaktiviert. Wir laufen wie ferngesteuert.

Der erste Schritt, um wieder in Kontakt mit eigenen Emotionen zu kommen, ist, sie vom ‘Gefühlsparkplatz’, einer Art Halde wieder zu befreien, zuzulassen, wahrzunehmen.

Viele erschrecken prompt und verstärken so immer und immer wieder die Blockade, statt sie zu fühlen. Ursprüngliche Emotionen lösen sich in 7 bis 90 Sekunden auf! Es ist nicht so bedrohlich wie es scheint, im Gegenteil, es ist sooo wohltuend und setzt enorme gestaute Energien frei, oft in plötzlich schallendem Gelächter, einem Heiterkeitsausbruch.

Der Schlüssel für unsere Gefühle kann sein, wenn wir leiden – weil wir dann wieder in Kontakt mit unseren Emotionen kommen.

Der Schlüssel für unsere Gefühle sind andere Menschen, die viele meiden wollen oder als ‘Arschengel’ bezeichnen.

Der Schlüssel für unsere wahren Emotionen und somit auch unserem wahren Potenzial ist… Ehrlichkeit.

Schonungslos ehrlich mit sich(!) sein, erlöst.

Ein Gefühl 100% fühlen bringt keinen um, es unbeherrscht ausagieren oder verhindern wollen schon.

Viele haben sich in diesem Zustand der emotionalen Entfremdung eine Art Fassade mit Ersatzgefühlen zugelegt. Der Verstand wird überaktiv und versucht das Ruder zu übernehmen, das Maß aller Dinge zu werden, auch Überrationalisieren genannt. Es denkt und das Denken errichtet die Mauer um das Herz.

Das ist kein Dauerzustand auch wenn mancher viel Lebenszeit verbringt, diesen Zustand um nahezu jeden Preis aufrecht zu erhalten… bis im glücklichsten Fall, das Leid nicht mehr zu ertragen ist und der Panzer erliegt, die Mauern bröckeln, der Vulkan brodelt…

Emotionale Entfremdung bedeutet sich von wahren Emotionen abschneiden.

Emotionale Entfremdung entsteht z.B.:

  • erlebt ein Kind sich wiederholt emotional zurückgewiesen,
  • wenn wahre Bedürfnisse nicht für voll genommen werden, 
  • wenn das Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit missachtet wird,
  • bei als traumatisch erlebten Ereignissen

Weil wir keine angemessenen Umgangsmöglichkeiten gelernt haben, mit starken Emotionen gesund und selbstverständlich umgehen zu können, erklären wir irgendwann unsere Gefühle – und dann auch die anderer Menschen, die uns ‘zu nahe’ kommen können, weil sie uns lieben – zum Feind.

Die ursprünglichen Emotionen werden dann eingefroren oder weggesperrt, aber sie sind nicht weg! So müssen wir scheinbar keine Hilflosigkeit und Ohnmacht mehr aushalten, was mit einer ursprünglichen Situation einherging.

Als Kinder konnten wir uns nicht genug entziehen bei dysfunktionalen Bedingungen und Beziehungen. Wenn wir dort nicht aus dem Weg gehen konnten, blieb oft nur der innere Rückzug und später wird der Fluchtmodus zur Gewohnheit – dummerweise ungefiltert, ob es sich um dysfunktionale oder auch funktionale Bedingungen oder Beziehungen handelt. Darin liegt auch ein Schlüssel: unterscheiden zu lernen, womit wir es zu tun haben.

Nach außen souveräner wirken, wird zur ständigen Aufgabe, die volle Kontrolle erfordert.

Jemand, der seinen Schmerz offen zulässt, wird verachtet, gemieden oder mehr.

Damit andere einem nichts anhaben können oder mit ihren Attacken nicht treffen können wird alles getan und oft enorme Opfer auf sich genommen, zusätzlich Schmerz, Leid, Verzicht, Qualen. Innerlich wird immer mehr gelitten. Das Herz, das Seelchen lebt, es wird wie lebendig begraben, eingemauert, nicht mehr gehört, gesehen, gespürt, immer seltener wird als Fortschritt fehlinterpretiert.

In fortgeschrittenen Stadien wird ganz darauf verzichtet, eigene Bedürfnisse zu äußern. Betroffene rühmen sich mit: Wenn ich nichts erwarte/will/brauche, kann ich auch nicht enttäuscht werden.

Ein Mensch, der keine Bedürfnisse mehr erkennen lässt, schließt sich ab und wird auch für andere unerreichbar.

Emotionale Entfremdung ist ein langer Weg und selten nur eine einzige schlimme Erfahrung, die dazu führt.

Es braucht einen langen inneren Kampf bis ein Mensch emotional gebrochen ist. Resignation kommt nicht aus heiterem Himmel oder plötzlich.

Emotionale Entfremdung entwickelt sich durch Erfahrung… siehe auch Erfahrungslernen.

Kinder, die lernen, wenn sie weinen oder schreien, bekommen sie Aufmerksamkeit, können so unbewusste Verhaltensmuster in ihren Autopilot installieren – wenn sie keine Aufmerksamkeit bekommen natürlich auch. Im Erwachsenen wird das innere Kind von seinen frühen Erfahrungen geprägt.

Erst wenn innere Muster bewusst gemacht und der dahinter stehende Schmerz zugelassen wird, kann der Bann gelöst werden. Wir können lernen und neue Erfahrungen sammeln. Wir können lernen, Dysfunktionales funktional zu meistern.

Angriff ist ein Schrei nach Liebe – und ein Symptom der Eskalation.

Ursprünglich wird signalisiert, dass etwas gebraucht wird. Ein Bedürfnis wird zum Ausdruck gebracht.

Reagiert das Umfeld angemessen, folgt entspannen und wir beruhigen uns. Reagiert das Umfeld unangemessen, steigt der innere Stress. Bei Intensität oder Penetration d.h. häufiger Wiederholung, kann das so in die emotionalen Entfremdung führen. Es wird gelernt durch Erfahrung.

Wurde erfahren, dass Aufmerksamkeit durch Wut oder Tränen erreicht wird? – dann wird das wohl das Learning und die vorhandene Option.

Als Baby ist Aufmerksamkeit lebenswichtig wenn es Bedürfnisse äußert.

Wer keine angemessene positive Aufmerksamkeit bekommt, lernt, wie negative Aufmerksamkeit zu bekommen ist. Lieber Schläge als gar keine Beachtung. Daraus wird dann ‘lieber schlagen, als geschlagen zu werden’ usw. Daraus werden oft auch mehr oder weniger kriminelle Energien entwickelt.

Die Eskalationsstufen der emotionalen Entfremdung durchlaufen auch Phasen.

  1. Wut/Ärger
  2. Trauer/Verzweiflung
  3. Resignation/Depression
  4. körperlichen Symptome/Somatisieren (ich sage dazu ‘in den Körper gerutscht’)

Exzessives Selbstmitleid kann auch eine Form von Resignation sein.

Wenn nix mehr hilft, hilft Humor. Mit Absicht und bewusst, wunderbar heilsam. s. auch der Hofnarr, war der einzige, der Wahrheit aussprechen durfte ohne sanktioniert zu werden.

Unbewusst kann der Kasper allerdings auch als Symptom alarmieren, wenn z.B. Kinder überwältigt sind und noch keine funktionale, angemessene Bewältigungsstrategien kennen und verfügbar haben und sich so selbst auch disqualifizieren, zeigt das eigentlich die Not in der sie sind. Und ihre Genialität.

Grenzen brauchen wir nur, wenn wir es mit Dysfunktionalem zu tun haben, für alles andere genügen Bedürfnisse.

Was hilft nun bei emotionaler Entfremdung?

Zuerst zu wissen, dass nicht wir so sind, sondern dass wir lernen können, wie wir diesen Zustand wieder ändern können.

Indem der vermeintlich beschützende Verstand die Information dazu bekommt, dass er einen tollen Job gemacht hat, aber sich nun entspannen und ausruhen darf. Ich schick ihn zum chillen in die Hängematte. 😉

Indem wir erkennen, wie diese Zusammenhänge wirken und neue Wirkmechanismen erfahren und erleben.

Vor allem hilft, wenn das wahre Gefühle, die Emotion gesehen, geachtet, gehört und gefühlt wird. Das kann kurz heftig sein, weil da auch heftige Blockaden behutsam gelöst werden, 7 bis 90 Sekunden! Trau Dich, am besten mit jemandem, der das kennt und mit Dir aushalten KANN. Ich hab immer wieder erlebt, dass wollen und können dringend zu unterscheiden sind!

Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit. Wir sind keine Säuglinge mehr, die hilflos auf Fürsorge angewiesen sind, das innere Kind mag eine andere Erfahrung noch nicht gemacht haben, darum ist es höchste Zeit. Wir können uns selbst die Aufmerksamkeit schenken, die tatsächlich fehlte, und so die wahren Gefühle hören, sehen, achten, erleben (nicht zu verwechseln mit ungefiltert ausleben).

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